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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: 10 A 4372/05
Rechtsgebiete: VwVfG NRW
Vorschriften:
VwVfG NRW § 37 Abs. 1 |
2. Ein Etikettenschwindel liegt vor, wenn ein Bauvorhaben mit seinem Nutzungszweck unzulässig ist und deshalb eine zulässige Nutzung vorgeschoben wird.
Tatbestand:
Nachdem der Beigeladene zunächst erfolglos die Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Produktionshalle in "Zimmerei und Lager Sanitärteile" beantragt hatte, erteilte ihm die Beklagte auf der Grundlage eines neuen Bauantrags die Genehmigung zur Nutzungsänderung der Halle in "Holz- und Lehmbau (ökologisches Bauen) sowie Lager Sanitärteile". Auf die Klage eines Nachbarn hob das VG die Baugenehmigung auf. Der Antrag des Beigeladenen auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.
Gründe:
Aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das VG hat die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 22.9.2004 in der Form der Nachtragsbaugenehmigung vom 3.3.2004 zu Recht aufgehoben. Die erteilte Baugenehmigung ist unter Verstoß gegen § 37 Abs. 1 VwVfG NRW unbestimmt. Die Unbestimmtheit bezieht sich auf diejenigen Merkmale des Vorhabens, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung von Nachbarrechten - hier hinsichtlich der Lärmbelastung durch die gewerbliche Nutzung des Grundstücks - auszuschließen.
Eine Baugenehmigung muss inhaltlich bestimmt sein. Sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit der Bauherr die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen und Drittbetroffene das Maß der für sie aus der Baugenehmigung erwachsenen Betroffenheit zweifelsfrei feststellen können. Eine solche dem Bestimmtheitsgebot genügende Aussage muss dem Bauschein selbst - ggf. durch Auslegung - entnommen werden können, wobei die mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen bei der Ermittlung des Erklärungsinhalts der Baugenehmigung herangezogen werden müssen.
OVG NRW, Beschlüsse vom 30.5.2005 - 10 A 2017/03 -, BRS 69 Nr. 163, vom 29.4.2004 - 10 B 545/04 -, und vom 12.1.2001 - 10 B 1827/00 -, BRS 64 Nr. 162; Urteile vom 10.12.1998 - 10 A 4248/92 -, BRS 58 Nr. 216, und vom 26.9.1991 - 11 A 1604/89 -, BRS 52 Nr. 144; Boeddinghaus/Hahn/ Schulte, Bauordnung NRW, Stand Mai 2007, § 75 Rn. 137-142 m.w.N.
Im vorliegenden Fall sind diese Anforderungen nicht gewahrt. Den Bauvorlagen lässt sich weder die Art des betrieblichen Geschehens noch der Umfang des Betriebes hinreichend sicher entnehmen. Ausweislich des Bauscheins sowie der mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Betriebsbeschreibung ist die Nutzungsänderung einer Produktionshalle in "Holz- und Lehmbau (Ökologisches Bauen) sowie Lager Sanitärteile" genehmigt. Zu Recht hat das VG ausgeführt, dass dies für die Kennzeichnung des Betriebs nicht ausreicht, weil nicht festgestellt werden kann, welche gewerbliche Tätigkeit durch die Baugenehmigung letztlich erlaubt ist.
Die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ist insbesondere in dem Streitverfahren betreffend die Ordnungsverfügung vom 27.4.2005, mit der dem Beigeladenen der "Betrieb einer Zimmerei" auf dem Grundstück untersagt worden ist, deutlich geworden. Während die Beklagte auf dem Standpunkt stand, mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung sei ein Zimmereibetrieb nicht genehmigt worden, gab der Beigeladene in der Antragsschrift an, die Baugenehmigung erlaube ihm auf dem Grundstück den Betrieb des Gewerbes "Zimmerei und Holzbau, Altbausanierung, Denkmalpflege, Holzrahmenbau, ökologischer Innenausbau", und seine dort ausgeübte Tätigkeit sei von der Baugenehmigung gedeckt.
Die Baugenehmigung ist - unabhängig von den vorstehenden Ausführungen - auch hinsichtlich der konkreten Betriebsgestaltung unbestimmt. Nach § 5 Abs. 2 BauPrüfVO muss eine Betriebsbeschreibung u.a. Angaben enthalten über die Art der gewerblichen Tätigkeit unter Angabe der Art und Zahl der Maschinen oder Apparate. Diesen Anforderungen genügen die in der Betriebsbeschreibung gemachten Angaben nicht, wie das Verwaltungsgericht im einzelnen ausgeführt hat. Soweit der Beigeladene in der Zulassungsbegründung angibt, ergänzend zur Betriebsbeschreibung hätte zur Konkretisierung des Genehmigungsinhalts die "Geräuschprognose für den geplanten Betrieb der Holz- und Lehmbau GmbH in S." des Ingenieurbüros T. vom 24.5.2004 herangezogen werden müssen, ergibt sich nichts anderes. Dabei kann offen bleiben, ob und in welchem Umfang diese Geräuschprognose Bestandteil der Baugenehmigung geworden ist. Sie ist einerseits nicht mit einem Grünstempel versehen, wird andererseits jedoch im Bauschein vom 22.9.2004 als "Bindung" bezeichnet. Jedenfalls ist die Geräuschprognose nicht geeignet, die Angaben in der Betriebsbeschreibung zu konkretisieren, weil sie diesen Angaben widerspricht. Denn die in der Betriebsbeschreibung genannten Maschinen ("Stapler, mobile Bandsäge") werden in der Geräuschprognose nicht untersucht; stattdessen ermittelt die Prognose Geräusche von Maschinen, die wiederum in der Betriebsbeschreibung nicht genannt werden (Dickdenhobel, Tisch- und Kreissäge, Handhobel, Handkreissäge und Kettensäge).
Unabhängig von dieser Widersprüchlichkeit hinsichtlich der Art der benutzten Maschinen ist die Baugenehmigung auch deshalb unbestimmt, weil eine pauschale Bezugnahme in der Baugenehmigung auf die Geräuschprognose nicht ausreichend ist. Wenn es in der Baugenehmigung vom 22.9.2004 heißt: "Dieser Genehmigung liegen folgende besondere Bindungen zugrunde: Geräuschprognose vom 24.05.2004, aufgestellt vom Ing.-Büro T. ...", bleibt unklar, welcher Teil des Gutachtens mit welchem Regelungsinhalt (Bedingung?, Auflage?, bei Auflage: welcher vollstreckungsfähige Inhalt?) in Bezug genommen werden soll. Da Gutachten stets mit Prämissen, Wertungen und darauf aufbauenden Schlussfolgerungen arbeiten, kann eine generelle Bezugnahme auf den Inhalt eines Gutachtens nicht zu einem eindeutig bestimmbaren und damit vollstreckungsfähigen Regelungsgehalt führen. Insbesondere, wenn es - wie hier - darum geht, im Hinblick auf Lärmimmissionen Nachbarrechte zu sichern, muss die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen bestimmt werden; ein pauschaler Verweis auf ein Lärmgutachten ist dagegen nicht geeignet, einen Lärmkonflikt wirksam zu lösen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.2.1996 - 10 B 248/96 -, BRS 58 Nr. 97; Boeddinghaus/Hahn/ Schulte, a.a.O., § 75 Rn. 143.
Schließlich ist die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtswidrig, weil sie einen Etikettenschwindel darstellt. Ein Etikettenschwindel liegt vor, wenn ein Bauvorhaben mit seinem Nutzungszweck unzulässig ist und deshalb eine zulässige Nutzung vorgeschoben wird.
Vgl. OVG LSA, Beschluss vom 4.5.2006 - 2 M 132/06 -, BauR 2006, 2107; Nds. OVG, Urteil vom 26.4.1993 - 6 L 169/90 -, MDR 1993, 759; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 75 Rn. 144.
Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, wird bei einem Vergleich der - grüngestempelten - Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 10.5.2004 mit der Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 10.12.2003 deutlich. Daraus ergibt sich, dass der Beigeladene stets den Betrieb einer Zimmerei beabsichtigte.
Nach der Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 10.5.2004, welche den Begriff "Zimmerei" vermeidet, sind Erzeugnisse des Betriebes "Holz- und Lehmbau"; gearbeitet werde mit den Materialien "Lehm, Bauholz und Holzwerkstoffplatten". Der Arbeitsablauf bestehe aus der "Anlieferung von Holz- und Lehmwerkstoffen, Zusägen, Verarbeiten und Ausliefern dieser Teile", eingesetzte Maschinen seien "Stapler, mobile Bandsäge". Die Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 10.12.2003, mit welchem die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung einer Produktionshalle in eine "Zimmerei und Lager Sanitärteile" beantragt wurde, ist damit weitgehend identisch: Nach dieser Betriebsbeschreibung sind Erzeugnisse des Betriebes "Holz- und Lehmbau, Zimmerarbeiten"; gearbeitet werde mit den Materialien "Bauholz und Holzwerkstoffplatten". Der Arbeitsablauf bestehe aus der "Anlieferung von Bauholz und Holzwerkstoffplatten, Zusägen, Verzimmern und Ausliefern dieser Teile", eingesetzte Maschinen seien "Stapler, mobile Bandsäge". Diesen Antrag vom 10.12.2003 nahm der Beigeladene in der Folgezeit zurück, weil die Beklagte der Auffassung war, ein Zimmereibetrieb füge sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung ein und sei daher nicht genehmigungsfähig. In der Sache ist ein jedoch qualitativer Unterschied dieser Betriebsbeschreibungen vom 10.12.2003 ("Zimmerei") einerseits und vom 10.5.2004 ("Holz- und Lehmbau") andererseits nicht zu erkennen. Bis auf die Vermeidung des Begriffs "Zimmerei" in der Betriebsbeschreibung vom 10.5.2004 befassen sich beide Betriebsbeschreibungen jeweils mit den gleichen Produktionsvorgängen unter Zuhilfenahme der gleichen Maschinen.
Ende der Entscheidung
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